Freeride World Tour 2012: Nächster Stopp Røldal, Norwegen. Deutsche Freeskier bisher gut dabei

Gri Reichenberger in Revelstoke
Sie stürzen sich die steilsten Hänge hinunter, springen zum Teil mit wagemutigen Tricks über hohe Cliffs, fahren mit vollem Speed durch tiefsten Powder, immer auf der Suche nach der spektakulärsten Linie. Die weltbesten Freeskier und Freerider treffen sich jährlich auf der Freeride World Tour (FWT), der inoffiziellen Weltmeisterschaft in dieser radikalen Spielart des Wintersports. In diesem Winter haben die Männer bereits drei von insgesamt sechs Contests hinter sich, die Freeskierinnen zwei von fünf. Nach Revelstoke (Kanada, 6. bis 11. Januar), Chamonix-Mont-Blanc (Frankreich, 21. bis 27. Januar) und Courmayeur (Italien, 24. bis 29. Januar), wo nur die Herren starteten, wartet jetzt auf Damen wie Herren der Wettbewerb im norwegischen Røldal (21. bis 27. Februar 2012). Danach macht die Tour Station im österreichischen Fieberbrunn (10. bis 16. März). Ende März wartet dann auf die Bestplatzierten in der Gesamtwertung das große Finale in Verbier (Schweiz, 24. März bis 1. April).

Noch mit dabei im elitären Feld der FWT-Teilnehmer sind bei den Damen Pia Widmesser (27, derzeit Rang vier) aus Kiefersfelden sowie zwei deutsche Herren: Tom Leitner (29, Rang elf) aus Traunstein und Christian Reichenberger (27, Rang 20), genannt "Gri" aus Piding bei Berchtesgaden. Für Sebastian Hannemann (25) aus Augsburg, der derzeit noch auf Rang 15 in der Gesamtwertung liegt, ist die Saison leider nach einem Fersenbeinbruch, den er sich Mitte Februar zugezogen hat, beendet. Unsere Redaktion sprach mit den drei verbliebenen Oberbayern:
 
Pia Widmesser
Wie seid Ihr mit den bisherigen Wettkämpfen zufrieden?
Pia: Für mich läuft es bis jetzt ganz gut. Ein dritter Platz in Kanada und eine fünfter in Chamonix heißt in der Gesamtwertung derzeit Rang vier. Für das, dass ich erst kurz vor dem Start für die Tour eine Wildcard erhalten habe, ist das doch ziemlich klasse!
Tom: Ich bin eigentlich ziemlich zufrieden. Mein Ziel war es, mir in den ersten Wettkämpfen eine Basis zu schaffen, um dann etwas mehr riskieren zu können. Damit meine ich nicht das Risiko ernster Stürze und Verletzungen, sondern jenes, durch das Einbauen von Freestyle-Tricks in meine Lines auch mal nicht so sauber zu landen.
Gri: Das ist meine erste Saison in der Freeride World Tour, deshalb bin ich bisher sehr zufrieden. In Revelstoke kam ich auf Rang 16 und in Courmayeur auf den neunten Platz. Mal sehen wie es in Norwegen läuft.

Tom Leitner
Was hätte für Euch persönlich besser laufen können?
Pia: Ich bin bis jetzt sehr sichere Runs gefahren. Jetzt muss ich schon noch ein bisschen mehr zeigen und höher springen sowie schneller fahren, um weiter vorne dabei zu sein.
Tom: Speziell der erste Event in Revelstoke war enttäuschend. Durch das etwas andere Bewertungssystem in Kanada wurde mein Freestyle-Trick am ersten Wettkampftag nicht mit dem Einzug ins Finale belohnt. In Courmayeur hatte ich mir nach meinem Lauf eine höhere Platzierung erhofft. Aber nachdem ich Einblick in die Bewertung bekommen hatte, realisierte ich, dass es wirklich nur Kleinigkeiten waren, die an diesem Tag den Ausschlag gaben. Genauso hätte ich auf dem Podium stehen können. 
Gri: Ich habe noch nicht so große Wettkampferfahrungen wie die meisten anderen, die dabei sind.

Wie beurteilt Ihr das Niveau der FWT im Vergleich zum Vorjahr? Was hat sich verändert?

Pia: Das Niveau der Frauen ist letztes Jahr zum Ende der Saison stetig gestiegen. Besonders die Schwedin Janette Hargin hat das Niveau der Frauen immer wieder gepusht. Dieses Jahr ist sie leider aufgrund einer Verletzung nicht dabei, aber das Level der Frauen wird meiner Meinung nach trotzdem immer besser. Wir brauchen uns nicht zu verstecken!
Tom: Das Niveau ist nochmals höher geworden. Das spiegelt sich in der extremen Dichte im Ranking wieder. Es gibt keinen klaren Favoriten mehr. Fast alle Fahrer haben im Moment die Chance, am Ende einen Spitzenplatz zu erreichen. Ohne sich untereinander abzusprechen, gibt es sehr ähnliche Lines zu sehen. Dies liegt aber weniger an einem Mangel an Kreativität, sondern daran, dass jeder nach der schwierigsten, gleichzeitig aber flüssig zu fahrenden Linie sucht. Ganz zwangsläufig kristallisieren sich da nur wenige Möglichkeiten heraus. Dass dabei niemand unkalkulierbare Risiken auf sich nimmt, spricht für das Können jedes einzelnen Fahrers.
Gri: Das Niveau im Fahrerfeld ist unglaublich hoch. Auch die Zahl junger, hoch motivierter Freerider, die sich durch die Qualifier kämpfen und ihr Können unter Beweis stellen wollen, nimmt rasant zu. 

Wie ist die Stimmung unter den Fahrern?
Tom: Die Stimmung ist sehr gut, aber noch fokussierter und professioneller als im Vorjahr. Durch die Leistungsdichte gibt es keine Elite unter den Fahrern. Jeder respektiert den anderen und weiß gleichzeitig, dass er selbst ganz nach vorne kommen kann. Es ist im Moment wirklich wie eine große Familie. 

Gri Reichenberger
Wer ist Euer Favorit/in auf den Gesamtsieg?
Pia: Für mich die Neuseeländerin Janina Kuzma. Sie liegt derzeit mit mir auf Rang vier. Es ist aber generell schwer zu sagen, weil noch jede die Chance hat, nach vorne zu kommen.
Tom: Da könnte ich mindestens fünf Fahrer aufzählen. Jeder hat seine Stärken, aber auch seine Schwächen. Es wird am Ende daran liegen, wer es im bestimmten Gelände schafft, seine Stärken zu zeigen und seinen Lauf dann perfekt durchzuziehen.
Gri: Natürlich würde ich mich freuen, wenn eine Deutsche oder ein Deutscher unter ihnen wäre. Im Moment ist noch alles offen. Das ist das Schöne am Freeriden, es bleibt spannend bis zum Schluss.

Was kann sie/er, was Ihr (noch) nicht kannst?

Pia: Janina springt höher und fährt schneller.
Gri: Das ist eine gute Frage. Der Fahrstil eines jeden Freeriders ist einzigartig. Der eine bevorzugt eher technisch anspruchsvolleres Gelände, während die Stärken anderer in spektakulären Sprüngen und Tricks liegen. Auch Erfahrung spielt in diesem Sport eine erhebliche Rolle. Das Face darf zuvor nur mit Hilfe von Ferngläsern aus der Ferne eingesehen werden. Die Entfernungen und die Höhe der Felsen einzuschätzen, seine Linie auch von oben wieder zu finden, sich dann in dem Hang orientieren zu können und dabei noch auf wechselnde Schneeverhältnisse reagieren zu können, gehört zu den eigentlichen Herausforderungen. Da haben die "alten Hunde" einen wesentlichen Vorteil im Vergleich zu uns.

Pia, Foto M. Neumann
Welche persönlichen Ziele habt Ihr für die weiteren Wettkämpfe?
Pia: Ich will meine ausgewählte Line flüssig und kontrolliert fahren, auch mal ein, zwei höhere Felsen springen oder einfach richtig mit Speed fahren.
Tom: Ich möchte siegen. Das mag überheblich klingen, aber deshalb fahre ich Wettkämpfe. Wenn ich es schaffe, geeignete Features für Tricks zu finden und diese dann zu landen, ist ein Sieg durchaus drin.
Gri: Ich möchte mich natürlich weiter verbessern und werde gemeinsam mit Pia und Tom versuchen, Deutschland aufs Stockerl zu fahren!

Was erwartet Euch in Røldal? Ein schwieriges Face? Schon mal dort gefahren?
Pia: Ich war schon einige Male oben. Es ist immer sehr schön in Norwegen und ich freue mich schon. Dieses Jahr nehmen sie wohl ein Face, das wir alle noch nicht gefahren sind. Die Schwierigkeit ist wohl, dass man es von oben gar nicht einsehen kann.
Tom: Nein, ich war noch nie dort. Die Videos vom Vorjahr versprechen aber einen spektakulären Wettkampf mit viel Airtime.
Gri: Ich bin letztes Jahr durch die Qualifiertour schon einmal dort oben gewesen und habe den sechsten Platz erreicht. Also laut Ergebnis fühle ich mich dort ganz wohl. 

Auf welchen Wettkampf der noch verbleibenden freut Ihr Euch am meisten?
Pia: Auf Røldal.
Tom: Auf Fieberbrunn. Es ist wirklich überwältigend, wie die ganze Region hinter der Veranstaltung steht. Es ist für uns Fahrer perfekt organisiert und auch die Zuschauer haben sichtlich Spaß. Mich für das Finale in Verbier zu qualifizieren ist dennoch mein großes Ziel. Das ist einfach der legendärste Freeride-Wettkampf weltweit. Aber ob man sich auf das extreme Face dort freuen soll oder sich fürchten, das habe ich noch nicht entschieden.
Gri: Ich mich auch auf Fieberbrunn Ich durfte letztes Jahr dank einer „Wildcard“ schon ein bisschen FWT-Luft schnuppern. Der Contest dort ist super organisiert und bietet das beste Rahmenprogramm für Tausende von Zuschauern. Letztes Jahr hatten sie eine riesige Tribüne aus Schnee gebaut und ein Public Viewing organisiert. Kommen lohnt sich also!

Was treibt Ihr dann noch in diesem Winter, wenn die Tour vorbei ist?

Pia: Einfach für mich selber Skifahren gehen und den Schnee genießen...
Tom: Jeden Tag Skifahren, wenn möglich.
Gri: Es sind einige Filmprojekte geplant und eventuell geht es im Sommer nach Neuseeland oder Südamerika.

Euer sportlicher Traum?

Pia: Einen Run haben, auf den ich persönlich sehr stolz bin.
Tom: Für immer so fit bleiben, um in den Bergen unterwegs sein zu können. Leistungssport ist nur ein kurzer Abschnitt meines Lebens, Skifahren aber ein Lebensstil.
Gri: Ein Sieg bei der Freeride World Tour.

Mehr Infos zu den Drei gibt es unter www.piawidmesser.de, www.tom-leitner.com, www.christianreichenberger.com, zur „Swatch Freeride World Tour 2012“ unter www.freerideworldtour.com. Petra Rapp