Pia Widmesser: „A bisserl wie Skifahren“


Mit Deutschlands bester Freeriderin Pia Widmesser aus Kiefersfelden auf Tour zur Pyramidenspitze (1997m), Zahmer Kaiser, Tirol

Es ist kurz vor sieben Uhr morgens. Einige Regen- und Gewitterwolken hängen noch bedrohlich dunkel in den Bergen. Doch ganz so trist wie am Vorabend ist es nicht mehr. Gehen wir oder gehen wir nicht? Pia Widmesser, ihr Kumpel Olli und ich telefonieren ein paar Mal hin und her und entschließen uns doch, aufzubrechen. Warum? Weil wir uns alle drei sehr auf diesen spontanen Tag in den Bergen gefreut haben und jetzt einfach nur raus und rauf wollen. Wohin? Es sollte eine Tour mit sportlichem Anspruch, aber auch nicht zu extrem werden. Unser Ziel deshalb: die Pyramidenspitze im Zahmen Kaiser via Winkelkar/Klettersteig. Also Regenklamotten in den Rucksack und sollte es wirklich richtig ungemütlich oder gewittrig werden, kehren wir halt rechtzeitig um, so der Plan. 

Wir treffen uns an der alten Grenze in Oberaudorf. Für Pia ein Katzensprung. Die 27jährige kommt aus Kiefersfelden und ist Deutschlands beste Freeriderin. Sie ist auf Ski groß geworden. Zuerst als klassische alpine Rennläuferin im Skiverband Inngau, wo sie für den WSV Oberaudorf bei Kinder- und Schülerrennen an den Start ging. Dann als Ski Crosserin, wo sie es bis ins Nationalteam schaffte. Seit einigen Jahren stürzt sie sich steile Hänge mit spektakulären Cliffs hinunter und qualifizierte sich als erste deutsche Freeskierin überhaupt für die Freeride World Tour (FWT), bei der nur acht Frauen auf Ski teilnehmen dürfen. Im Winter 2011 wurde sie in der Gesamtwertung Achte, 2012 Siebte und drittbeste Europäerin. Kaum vorstellbar, wenn man die sympathische Inntalerin in ihrer ruhigen Art und mit ihrer Figur, die eher an ein Modell erinnert, so in den sommerlichen Bergklamotten sieht. Sie hat inzwischen ihr BWL-Studium an der Fachhochschule in Rosenheim abgeschlossen, arbeitet zwei Tage in der Woche und bereitet sich ansonsten auf den kommenden Winter vor. Mit gezieltem Fitness- und Krafttraining, weshalb sie gerade einen ziemlichen Muskelkater hat, und mit möglichst vielen Berg- und Mountainbiketouren, bevor es dann im Herbst wieder auf die Bretter und in den Schnee geht. 

Im Zahmen wie Wilden Kaiser ist sie sehr oft und sehr gerne unterwegs. Doch den Aufstieg auf die Pyramidenspitze (1997m), nach der Vorderen Kesselschneid (2002m) zweithöchster Gipfel im Zahmen Kaiser, von Durchholzen aus kennt sie noch nicht. Eine Schar lästiger Bremsen überfällt uns gleich am Parkplatz. Die Luft ist feucht, die Wolken hängen noch dicht im Talkessel und der schöne Weg hinauf zur Winkelalm (1192m) ist stellenweise noch ziemlich aufgeweicht. Am Wegrand ein Bergmolchpaar, das sich gefunden hat und sich von uns nicht stören lässt. Skurrile Stimmungen im zum Teil nebligen Aufstieg. Fast schon ein bisschen Regenwaldatmosphäre. Schönes Warmgehen, begleitet von ein paar Begegnungen mit Gemsen, bevor der Weg nach der Gabelung, wo es links Richtung Tiroler Heuberg und rechts zur Pyramidenspitze geht, steiler und anspruchsvoller wird.

Im Winkelkar beginnt auf rund 1600 Metern ein gut gesicherter, abwechslungsreicher Steig durch das Schrofengelände hinauf zum Sattel zwischen Jofenspitze und Pyramidenspitze, wo wir, sobald der Nebel immer wieder aufreißt, einen gigantischen Ausblick auf für den Zahmen Kaiser ungewöhnliche Felsszenarien und den schönen Talkessel haben. Oben am Sattel machen wir kurz Pause. „Manchmal bin ich ein bisschen verplant“, meint Pia, die noch nichts gefrühstückt und auch nichts Essbares dabei hat und sich deshalb sehr über die Brotzeit freut, die wir ihr abgeben. Der Weg zum Gipfel führt westlich weiter über gesicherte Passagen und einen mit Eisenklammern gefestigten Steig. Ein bisschen Kraxelei, aber auch für Klettersteigeinsteiger sehr gut zu meistern. „Ein sehr schöner, sehr abwechslungsreicher Aufstieg“, meint Pia, als wir nach nicht ganz drei Stunden oben am Gipfelkreuz der Pyramidenspitze ankommen. „Gottseidank auch nicht besonders ausgesetzt, das ist nämlich nicht so mein Ding beim Berggehen“, sagt sie. Was Olli und mich doch ein wenig verwundert bei jemandem, der im Winter die steilsten Abhänge hinunter fährt. „Mit Ski an den Füßen ist das ganz was anderes“, erklärt Pia, „da fühle ich mich einfach viel sicherer und da ist auch die Motivation bei den oft schweren Aufstiegen zu den Rinnen eine ganz andere.“Gut, dann soll zumindest beim Rückweg für sie ein bisschen Affinität zum winterlichen Vergnügen aufkommen. 
 
Wir wählen deshalb die weiter westlich liegende, anspruchsvollere Variante durch das Egersgrinn für den Abstieg hinunter nach Durchholzen. Die Rinne ist bis weit in das Frühjahr hinein beliebtes, aber anspruchsvolles Ziel ambitionierter Skitourengeher. In der schneefreien Zeit ist sie geprägt von steilen Schotterfeldern (Vorsicht vor Steinschlag), in denen man in kurzer Zeit mit der richtigen Lauftechnik, die in Sachen Körperhaltung ein bisschen ans Skifahren erinnert, richtig viele Höhenmeter bergab machen kann. Olli voran, Pia hinterher mit Stockeinsatz. Schritt für Schritt volle Konzentration bis wir unten ankommen, wo ein kleiner Pfad durch den Wald und dann ein breiter Forstweg hinunter ins Tal führen.

Eine kurze Einkehr in der Aschinger Alm, dann beschließen Pia und ich, die letzten Höhenmeter hinunter nach Durchholzen noch ein wenig Spaß zu haben und sie mit der Sommerrodelbahn zurückzulegen. Im Tal noch eine Kneippsche Abkühlung im eiskalten Dorfbach für die strapazierten Füße. Dann geht es entspannt barfuß sowie unglaublich zufrieden und glücklich über einen wunderschönen, am Ende doch noch sehr sonnigen Tag in den Bergen zurück zum Parkplatz. Und zurück in den Alltag. Petra Rapp


Der Artikel ist auch mit allen Tourdaten in der Ausgabe 3 des Magazins himmeblau nachzulesen: pdf zum Download